Tiersehnen als Verstärkung für Holzschilde?

Begonnen von Morgwathiel, Februar 24, 2013, 16:25:57 NACHMITTAGS

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Morgwathiel

Hallo Zusammen!

Wie der eine oder andere vielleicht weiß studiere ich Restaurierung und interessiere mich sehr für historische Kunsttechnologie.
Nun hat mich eine Dozentin auf eine sehr interessante Untersuchungsreihe aufmerksam gemacht, mit der sie belegen möchte, dass im Mittelalter auch Tiersehnen verwendet wurden um Holzskulpturen für ihre Bemalung vorzubereiten. Nun ist das leider nicht so leicht, da wir nicht einfach alle erhaltenen mittelalterlichen Skulpturen mit teuren und aufwändigen Verfahren untersuchen und analysieren können und uns zudem keine historischen Quellen bekannt sind, die Tiersehnen als Kaschierungsmatierial erwähnen.
Ich bilde mir ein einmal gehört zu haben, dass man im Mittelalter Tiersehnen auf Holzschilde geklebt hat um diese widerstandsfähiger zu machen. Kann mir das jemand bestätigen und vielleicht sogar eine historische Quelle nennen, die das belegt?
Ich bin für jeden Hinweis sehr dankbar.

Liebe Grüße,
Isabel

Cornelius

Für Holzschilde sind Rohhaut (das Zeug, das man feucht verarbeitet und das dann hart wird und die Form behält) und Leder als Überzugsmaterial belegt, wenigstens für hochmittelalterliche Dreiecksschilde, die damit erhalten sind. Etwas weniger Belege gibt es für die wikingerzeitlichen Rundschilde (teilweise, soweit ich mich entsinne, wird eine Bespannung oder Randverstärkung aus tierischem Material nur durch Lücken/Dickenunterschiede zwischen Holz und fixierender Metallklammer vermutet, mitunter werden auch Randverstärkungen aus Darm angenommen, wenn diese Zwischenräume sehr dünn sind). Aber da müsste ich dich an einen Archäologen verweisen (von denen ich jetzt tatsächlich auch zwei kenne, die von diesem Thema etwas Ahnung haben müssten), selber bin ich da mittelschwer ahnungslos.

Wie werden Tiersehnen denn bei Holzskulpturen als Bemalungsgrundlage verwendet? Dass für Kreidegründe/Engobage etc. Knochen- oder Hasenleim verwendet wurde (eben auch wieder bei den hochmittelalterlichen Dreiecksschilden), ist mir in groben Zügen geläufig, aber dafür wurde das Zeug halt zerkleinert und gekocht oder weiß der Geier.

Und zu guter letzt: Kann man Restauration tatsächlich an einer Hochschule studieren?

Morgwathiel

Um Holzfehler wie Astlöcher auszubessern, Trocknungsrisse zu überdecken oder um Holzfugen zu schließen, wurden diese oft mit einem textilen Gewebe, Tierhaaren oder Pflanzenfasern überklebt. Erst dann wurde die Figur grundiert und bemalt. Das ist relativ bekannt und durch historische Quellen belegt.
Allerdings hat vor kurzem eine Studentin eine solche Faser (rein optisch erinnerte sie an eine Pflanzenfaser) mal genauer analysiert und musste feststellen, dass die Faser einen extrem hohen Anteil an tierischen Proteinen enthält. Viel, viel höher als er normalerweise bei Unterklebungen vorkommt. Der enthaltene tierische Leim (ja, er wurde aus Haut, Knorpeln und anderen Restprodukten gekocht) kann dafür also nicht verantwortlich sein. Anfangs glaubte man an einen Messfehler, dann daran dass es sich um einen Einzelfall handeln müsste, aber mittlerweile gibt es 3 nachgewiesene Fälle.
In Bern untersuchte eine Studentin zwei mittelalterliche Kampfschilde unter deren Lederbespannung sie eine Pflanzenfaser vermutete (rein optisch sah sie aus wie Werg). Nach genaueren Analysen kam sie aber zu dem Schluss dass es sich um tierische Fasern handeln muss.
Allerdings sind uns wie gesagt keine historischen Quellen bekannt, die die Verwendung von Tiersehnen erwähnen und wir können uns auch nicht so ganz vorstellen wie man diese aufbereiten musste.

Und ja, man kann Restaurierung an einigen wenigen Hochschulen und Fachhochschulen studieren.  :D Das Studium ist sehr praktisch orientiert und besteht zu 50% aus Werkstattunterricht, aber wir müssen genauso auch Vorlesungen in Chemie, Physik, Kunstgeschichte, Kunsttechnologie, Quellenkunde usw. belegen und lernen Holzarten zu bestimmen und Pigmente zu analysieren. Dummerweise ist unsere Berufsbezeichnung nicht geschützt. Das heißt, dass sich jeder Tischler der nebenbei noch alte Möbel aufpoliert Restaurator nennen kann. Das wiederum hat zur Folge, dass man uns meist für besser gestellte Handwerker hält und wir ständig Fragen wie "Was? Restaurierung kann man studieren?" zu hören bekommen.  ;)

Cornelius

Genau deswegen hatte ich nachgehakt. Na immerhin, ich bin auch ein kleiner Neben-Historiker und das ist ebensowenig geschützt.

Die Frage ist doch (Achtung, Geisteswissenschaftler!), wo die Grenze zwischen Verwendung von Tierprodukten als Leim und als "Materialersatz" zu ziehen ist. Ich weiß nicht, ab wann solches Zeug klebrig wird, aber ist es nicht denkbar, dass man es als eine Art Klebeband bzw. Pappmachéstreifen (also in Kleister getunktes Zeitungspapier, wie in der Schule) benutzte, um sowohl das Material als auch die Klebefähigkeit nutzen zu können? Das war spontan meine erste Idee bezüglich der Schilde (diese Arbeit würde mich übrigens interessieren, du hast ein pdf...?), um dort für die Planken (?) noch etwas Zusammenhalt zu finden, aber es ist für Skulpturen o.ä. ja genauso denkbar. Oder nehme ich da gerade völlig verkehrte Zusammensetzungen/Funktionsweisen für diese Tierprodukte an?

Morgwathiel

Also um Tierhaut klebrig zu machen, muss man erst ihr Gewebe auflockern, sie entfetten, waschen und kochen. Das kann schon etwas dauern.
Ich denke auch dass die Tiersehnen wenn dann zur Verstärkung gedient haben. Ich weiß nur nicht ob sie von den Eigenschaften her besser sind als beispielsweise Bastfasern oder ihre Verwendung eher aus der Not geboren ist.
Das sind halt alles nur Spekulationen, weil es an Beweisstücken und historischen Quellen fehlt. Faseranalysen an Kaschierungsstoffen wurden in der Vergangenheit kaum durchgeführt, weil sie kostspielig sind und man eigentlich immer davon ausging dass es sich um eines der Materialien, die in den Quellenschriften erwähnt sind, handeln muss.

Ich kann mal unseren Zuständigen für den Schriftentausch fragen ob er mir die Arbeit über die Kampfschilde besorgen kann. Allerdings kann das noch etwas dauern, da er gerade nicht verfügbar ist.

Captain

Eine Verbindung von Knochen- bzw Hautleim mit Faserstoffen ist mindestens seit der Antike bekannt. Das Stichwort ist Linothorax und dafür gibts im deutschen Raum mindestens eine konkrete Fundstelle. Verbreiteter waren die bei den Griechen.
Für Schilde kenn ich da aber keinerlei Belege. Das heißt nichts für die mögliche Existenz eines solchen Belegs, wäre nur für mcih eine überraschende Erweiterung meines Wissens. Was mitunter passiert ist, ist die Rohaut-Bespannung, die am Schildrand festenäht wurde. Üblich war da zwar Pechfaden, aber Sehne gabs auch, dafür gibts nur deutlich weniger Belege. Warum das so ist, weiß ich aber nicht.
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Cornelius

Welche Belege gibt es dafür überhaupt? Ich habe in den Fundbeschreibungen sogar den Hinweis vermisst, ob die auftauchenden kleinen Löcher am Rand durchgehend sind (wie Nähte das erfordern müssten) oder nur von einer Seite eindringen, wie bei kleinen Nägeln. Der Linothorax bringt uns hier ja, wenn ich es recht verstanden habe, auch nicht weiter, denn für solche Kombinationen war ja die Menge tierischer Proteine bei den Messungen zu hoch. Daher – Isabel, bitte korrigiere mich notfalls – ist ja immer noch die Frage, ob "tierischer" Leim mit tierischem Gewebe verwendet wurde oder aber gleich ein klebriges Gewebe (wie von mir vermutet). Richtig? Ich habe gestern nochmal die bei Jan Kohlmorgen erwähnten erhaltenen hochmittelalterlichen Reiterschilde überflogen (primär aber wegen der Beriemung) und kann mich nicht an einen Fall erinnern, bei dem man unter die Bespannung geschaut hätte. Ich kann demnächst nochmal genauer nachlesen, aber ich halte es eh für unwahrscheinlich, dass man die guten Stücke so zerlegt hätte.

Captain

Ich hab vor einiger Zeit eine Grabplatte gesehen (genauer, ein Foto davon). Die war plastisch ausgeformt. Datierung stand nirgends, von dem was dargestellt war würde ich mitte 14.Jh schätzen. Worauf es ankommt: da war ein Schild mit drauf und der hatte eine klar erkennbare Linie mit regelmäßigen Unterbrechungen. Das sah mir sehr nach einer Naht aus. Zu Materialien (halt der Pechfaden) hab ich keine Primärquelle, nur die Aussage von Historikern passender Fachrichtung, denen ich halt einfach eine gewisse Kompetenz zugestehe solange da nicht konkretere neuere Unteruchungen begründete Zweifel erzeugen.
Klar ist eine Darstellung kein konkretes Fundstück. Als Interpretation auf Hobby-Niveau reicht mir das allerdings. Ich schreib ja keine wissenschaftlichen Arbeiten da drüber oder maße mir an, mehr zu wissen als echte Historiker. Ich finde solche Experimente, wie Isa das beschrieben hat total spannend. Oft genug kommen aus sowas interessante Erkenntnisse, was möglich gewesen sein könnte.

der Kohlmorgen hat ja auch eher den Charakter versierter Hobbytätigkeit und weniger wissenschaftlichen Charakter. Ich empfinde es aber ebenfalls ein sehr gutes Buch. ;)
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Morgwathiel

Ja, mit tierischem Leim getränkte Gewebe sind uns bekannt und ergeben keineswegs so hohe Messergebnisse wie in dem aktuell diskutierten Fall.

Also ich kann mir nicht vorstellen, dass Tiersehnen von alleine kleben. Zumindest nicht dauerhaft. Ich würde also davon ausgehen, dass es sich um eine Mischung aus Leim und Sehnen handelt. Der Leim hält alles an Ort und Stelle und die Sehnen... Tja, darüber kann ich jetzt nur spekulieren.

Wenn es keine Quellen gibt, kriegt man es wohl nur mit Ausprobieren raus. Dazu müsste man zum einen versuchen ob ich Unrecht habe und man Sehnen tatsächlich klebrig machen kann ohne ihre Struktur zu zerstören und zum anderen ob man aus Sehnen und Leim eine haltbare Mischung machen kann. Dann müsste man das Ganze nur noch künstlich altern lassen und daran Belastungsproben durchführen. Kennt hier vielleicht jemand nen Metzger mit Faible für experimentelle Archäologie?  ;)



Conscript

#9
Im etwas sehr in die Jahre gekommen "Handbuch der Waffenkunde. Das Waffenwesen in seiner historischen Entwickelung [sic!] vom Beginn des Mittelalters bis zum Ende des 18. Jahrhunderts" von Wendelin Boeheim werden aus Tiersehen geflochtene Schilde erwähnt:

"In Spanien traten nur die Keltiberer in ihrer Bewaffnung aus dem antiken Rahmen heraus. Sie trugen lange, zweischneidige Schwerter, kleine, aus Tiersehnen geflochtene Schilde und ganz aus Eisen bestehende Wurfspiefse mit Widerhaken, die sie mit ungemeiner Sicherheit handhabten." (Boeheim 1890: 6f.)

Der zitierte Teil stammt aus der Einleitung des Buchs ist mit Sicherheit nicht der Themenschwerpunkt Boeheims.

Das fast zeitgleich erschienene "Trachten. Haus-, Feld- und Kriegeräthschaften [sic!] der Völker alter und neuer Zeit" von Friedrich Hottenroth weist auch auf diese Schilde und einen Kopfschutz aus geflochtenen Tiersehnen hin:

"Als Kopfschutz im Kriege diente den Keltiberern das lange Haar, welches sie auf dem Scheitel in einen Knoten zusammenwickelten; darüber setzen sie sie noch eine aus Tiersehnen geflochtene Kappe. [...] Der Schild war rund oder viereckig und von wechselnder Größe, jener der Lusitaner rund, aus Tiersehnen geflochten, inwendig ausgehöhlt und mit einem langen Riemen versehen." (Hottenroth 1891: 54f.)

Die einzige "Quelle" für die Ausführungen in beiden Büchern scheint eine kleine Passage im 5. Buch der "Bibliotheca historica" von Diodor (Diodorus Siculus) zu sein. Siehe im Link bei p191

Die potenziellen Fundstücke der keltiberischen Schilde aus dieser Zeit werden wohl bei der nächstbesten Hungersnot als Trockenfleischersatz zerkaut worden sein.  :D

Zitat von: Morgwathiel in Februar 26, 2013, 15:38:59 NACHMITTAGS
Kennt hier vielleicht jemand nen Metzger mit Faible für experimentelle Archäologie?  ;)

Diese Webseite für Bogenzubehör verkauft Hirschsehne. Ich habe aber keine Ahnung, ob die neben dem Trocknen für die Verwendung im Bogensport irgendwie besonders behandelt werden.

Hier gibt es eine Anleitung für Do-it-yourself-Fans.

Morgwathiel

Na das ist doch mal interessant. Die aufgefaserten Sehnen sehen schon sehr vielversprechend aus. Die erinneren optisch sehr an Flachs. Vielen Dank für die vielen, hilfreichen Hinweise!  :)

Cornelius

Ich wollte nochmal kurz ganz egoistisch wegen der Berliner Arbeit über die beiden Schilde nachhaken. Kommt man da prinzipiell ran?

Morgwathiel


Cornelius

Danke nochmal für die Weiterleitung. Ich habe inzwischen mehrmals mit Ingo Petri von der Hammaborg darüber gesprochen, weil er als Archäologe auch einigermaßen quellenkundig ist, was Schilde etc. angeht. Die Theorie von den "leimig" gekochten Tiersehnen, die also als eine Art Klebeband über die Planken gezogen wurde, konnte er nachvollziehen. Ausprobiert hat es heute anscheinend nur keiner bisher.

Da ich kurz davor bin, endlich meinen neuen Buckler zu bauen,habe ich mal noch eine Frage: Lässt sich bei Lederarbeiten in der Zeit (also um 1300, aber besser was Entfernteres als gar nichts) irgendein Garnmaterial ausfindig machen? Die Diplomarbeit hat da nichts drin, obwohl sie öfters über genähte Stellen und die Problematik der Materialanalyse schreibt. Ich bin bisher soweit, eine Lederschicht nass vorgeformt mit Knochenleim auf die Vorderseite aufzuziehen, am Rand umzuschlagen und dort zu vernähen (weil ich die kleinen Nägel, die auch möglich wären, vermeiden will). Aber womit?

Captain

Pechfaden. Also Flachsgarn, daß durch Teer gezogen wurde. Ist nur leider heutzutage nicht sooo einfach zu beschaffen.
Wenn du nasses Leder aufspannst, kannst du dir das Leimen allerdings sparen. Nass dehnt es sich aus (halt so wie die Fingerkuppen in der Wanne ;) auch wenn der effekt bei gegerbtem Leder deutlich schwächer ist als bei Rohhaut) und ist dehnungsfähiger. Wenn du nich grad reichlich Spiel belässt, musst du das dann nur hernach trocknen lassen. Das Leder strafft sich dann wieder und legt sich fest an.
Spielertyp nach Robin D. Laws: Storyteller 100%, Method Actor 92%, Tactician 75%, Specialist 50%, Butt-Kicker 50%, Casual Gamer 12%, Power Gamer 0%
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