TV Dokumentationen zum historischen Fechten

Begonnen von EnginSeer, März 12, 2013, 13:44:58 NACHMITTAGS

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Conscript

#15
Ja das scheint wohl entweder Huscarl oder Vollkontakt (VK) zu sein.

Zum tatsächlichen Kampf schwer gepanzerter Ritter mit Dreiecksschild betrifft, würde auf folgendes Hinweisen:

1. Das Kämpfen im Harnisch würde definitiv etwas anders aussehen, wenn es Stiche beinhalten würde. Beim Huscarl oder VK ist die schwere Panzerung ein muss, um das Verletzungsrisiko an den Körperstellen zu reduzieren, die bei Hieben getroffen werden könnten. Geht man von einem "ernsten" Gefecht gegen ein Gegener im Harnisch (oder auch Kettenpanzer) aus, macht es wenig Sinn Hiebe auf die Panzerflächen zu führen, es wäre hingegen sinnvoller seine Angriffe auf die Schwachsetellen der Rüstung zu konzentrieren, also z.B. Stiche gegen die Sehschlitze des Helms, die Zwischenräume der unterschiedlichen Plattenteile oder schwer zu panzernder Stellen (Achselhöhle, Kniekehle, Hals) zu führen. Dazu gibt es ja genug Hinweise beim Harnischfechten. Auch wenn dort kein Schild Verwendung findet, gilt es ja ebenso, die schwere Panzerung des Gegener effektiv zu umgehen. Dieses bewusste Ausnutzen von Rüstungsschwachstellen würde aber der sicheren Durchführung von Huscarl oder VK eher im Wege stehen. Das Weglassen von Stichen außerhalb des Wirkungsraums der Rüstung führt daher zu zahlreichen Hiebwechseln, da nicht nur der Getroffene Schäden minimieren will, sondern auch der Angreifer nicht vorhat, seinen Sparringspartner ernsthaft zu verletzen.

Ein Hieb auf die Rüstungsteile macht nur Sinn, wenn die Waffenwirkung stark genug ist um:
a) die Rüstung zu durchstoßen,
b) unter der noch intakten Rüstung effektiv Verletzungen (z.B. Knochenbrüche) zu verursachen,
c) die Rüstung so zu deformieren / zu beschädigen, dass die Bewegungsfreiheit (z.B. der Atembewegungen des Brustkorbs) erheblich beeinträchtigt wird.

Eine möglich Waffe, die solche Attacken ermöglicht, scheint die Mordaxt zu sein, wenn man sich diesen und jenen Test anschaut

2. Bei Rittern handelt es sich (zumindest im militärischen Sinne, also außerhalb von unberittenen Duellen oder Turnieren), allgemein um schwere Kavallerie, weshalb Technik und Ausrüstung vermutlich auch stark auf den berittenen Kampf hin optimiert sind und eher nicht für das Fechten zu Fuß. Das heißt zwar nicht, dass nicht abgesessen gekämpf wurde, aber beim Dreiecksschild handelt sich dennoch letztlich um einen Reiterschild (oder?), der vermutlich nicht auf den mobilen Einsatz am Boden (z.B. Schildbindungen) ausgelegt ist. Vielleicht ist es gerade ein Beleg für die Funktionalität des Schilds zu Pferde und seiner Nachteilhaftigkeit zu Fuß (bedingt sich die Verbesserungen der Körperpanzerung), dass der Dreiecksschild im Tjost letztlich nie ganz verschwindet, sondern nur später als Brechschild Teil der Körperpanzerung wird, aber das Harnischfechten am Boden gänzlich auf das Schild verzichtet und dort zweihändige Waffen wie Langschwert, Luzerner Hammer bzw. Mordaxt gängig sind.

Captain

Zitat von: Conscript in April 23, 2013, 01:23:53 VORMITTAGc) die Rüstung so zu deformieren / zu beschädigen, dass die Bewegungsfreiheit (z.B. der Atembewegungen des Brustkorbs) erheblich beeinträchtigt wird.
Ich gebe zu bedenken, daß Untersuchungen an Funden zu spätmittelalterlicher Rüstung ergeben haben, daß diese typischerweise gehärtet worden sind. Anders als Die Dinger, die man heute so bekommt. Diese sind viel schwieriger zu verformen und wenns passiert reißt der Stahl eher auf, als sich zu verbiegen. Weiterhin währen weniger der recht formstabile Brustkorb als eher die Gelenke sehr interessante Ziele. Leichter zu treffen und wenn sich der Arm verkantet isses auch nix mehr mit ausholen.

Zitat...beim Dreiecksschild handelt sich dennoch letztlich um einen Reiterschild (oder?), der vermutlich nicht auf den mobilen Einsatz am Boden (z.B. Schildbindungen) ausgelegt ist.
Oh ja, unbedingt. Wobei auch im Reiterkampf der Schild vom 11. zum 16. Jh hin immer kleiner wird. Die immer besser werdende Rüstung hat da nicht unerheblichen Einfluss.
Hingegen in heutigen Einsätzen kommt dem Schild exorbitante Bedeutung zu. Da die eingängigen Reglements Körpertreffer zählen, Schilde quasi unzerstörbar sind und Rüstung keine taktische Bedeutung haben (effektiver Rüstschutz ist notwendig zum Selbstschutz aber kaum Teil der Trefferwertung). Das macht diese Einsätze sehr schwer vergleichbar mit historischen Gegebenheiten. Genau wie beim Blosfechten geht halt nur eine gewisse Annäherung.
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Cornelius

Zitat von: Captain in April 23, 2013, 07:34:00 VORMITTAGIch gebe zu bedenken, daß Untersuchungen an Funden zu spätmittelalterlicher Rüstung ergeben haben, daß diese typischerweise gehärtet worden sind. Anders als Die Dinger, die man heute so bekommt. Diese sind viel schwieriger zu verformen und wenns passiert reißt der Stahl eher auf, als sich zu verbiegen.
Das hätte ich bisher auch geglaubt, aber zumindest eine Harnischbrust aus dem Chemnitzer Schlossbergmuseum (17. Jhd., kommt wohl von einem Vorfall, wo die Schweden ein deutsches Kavallerieregiment in die Zschopau getrieben haben) hat mich da etwas kritischer gestimmt. Sie hat wie viele andere dieser frühneuzeitlichen Panzer einen TÜV-Einschuss vorne dran, der das Material schön gleichmäßig nach innen durchgebogen hat; und ich habe mich dabei gefragt, ob das mit härterem (und dann reißendem?) Stahl nicht deutlich gefährlicher geworden wäre. Das Ding war zudem auch recht schwer und gut 2–3mm dick, obwohl ich das halt nur vom Gefühl einschätzen kann, gemessen haben wir's nicht.

Zur Führungsweise der Dreiecksschilde hatte ich Alex (und noch jemandem? Matse?) schon mal ne Mail mit meinen Theorien geschickt, aber der Vollständigkeit halber zitiere ich mich selbst mal aus einem anderen Forum.

Ich habe vor kurzem gut 2000 Bildquellen aus dem 12. und 13. Jh. nach Schildkampfesweisen durchforstet und da ist mir aufgefallen, dass die berühmten Unterarmriemen höchstens bei vertikal gehaltenen frühen Tropfenschilden und bei einigen sehr späten kleinen Dreiecksschilden aus dem späten 13./frühen 14. Jh. vorkommen. Die überwiegende Mehrheit dazwischen (und danach) scheint nur über Schildfessel und Handriemen (meist am Rand, einige Quellen suggerieren aber auch zentrale Handriemen) geführt worden zu sein, mit dem Schild dicht am Körper und der Möglichkeit, ihn daher (weil er nicht festgeschnallt ist) schnell auf den Rücken oder an die Seite zu werfen, mit der linken Hand zu gestikulieren, zu Ringen oder eben zweihändig zu fechten. Wenn man sich dann noch ansieht, welche abgefahrenen Beriemungen mitunter dargestellt wurden (http://cudl.lib.cam.ac.uk/view/MS-EE-00003-00059/ folio 5r, also "Image 15"), sollte man selbst Jan Kohlmorgens Interpretationen (und vor allem die Nagellochreste der von ihm beschriebenen Originale) nochmal genau betrachten und ggf. kritisch hinterfragen. Die Diskussion können wir aber gern in einem passenderen Thema weiterführen, es erklärt im übrigen auch ganz gut die Entwicklung zum langen/zweihändig geführten Schwert.

[...]

Zuvor noch etwas zum Hintergrund: Mich hat die Theorie von Roland Warzecha überzeugt, dass mit zentral gefassten Wikingerrundschilden im Duell aktiv gefochten werden konnte (bzw. musste); der Schild ist also für die Bindung da und das Schwert dringt dann vor allem in entstandene Öffnungen ein, wenn der Gegner mehr oder minder "zusammengefaltet" ist. Erst mit gewölbten Schilden, die näher am Körper getragen werden (vermutlich alles auf die Angriffsweise der Kavallerie zurückzuführen), wird der Schwertarm exponiert, das Schwert übernimmt die Bindungsarbeit (von da an bis in die Neuzeit) und es entstehen längere Parierstangen und langärmelige Ringpanzerhemden (übrigens auch längere Schwertgriffe, um beim Fechten umgreifen zu können).

Ungefähr da setzt meine Theorie zur Benutzung des typisch-hochmittelalterlichen Dreiecksschildes ein (die Gottseidank ein paar andere Leute schon für einleuchtend erachtet haben, also ist es kein völliger Blödsinn...jetzt steht nur die große Experimentierphase an). Der Schild wird eindeutig nah am Körper und mit Fessel um den Hals geführt, das taucht in den Bildquellen am häufigsten auf. Früher habe ich mich immer gefragt, wie so ein aktiver (oder besser: offensiver) Schildeinsatz passieren soll, aber er ist anscheinend nicht passiert. Die Bindungsarbeit hat das Schwert übernommen, unterstützt durch eine mobile linke Hand.

Wir brauchen an Beriemung also eine Schildfessel, die um Hals bzw. Schulter reicht, und einen bzw. ein Paar Handriemen (dass diese, wenn als Paar vorhanden, überkreuzt gewesen sein sollen, ist vermutlich auch so ein Trugschluss, parallel gefasst muss die Kontrolle besser sein – man sieht es noch bei neuzeitlichen orientalischen Rund- und Faustschilden – und mit Hand drin sieht es auf dem Bild wie überkreuzt aus). Handriemen in der rechten oberen Ecke sind belegt, aber auf einigen Bildern werden die Schilde anscheinend am gestreckten Arm getragen, wofür der Riemen wenigstens in der Mitte sitzen müsste. Die Zeichnung aus dem Leben Eduard des Bekenners (s.o. erster Beitrag) suggeriert das und weist weiterhin auf eine größere Problematik hin: Bisher hat man Beriemungen aufgrund von Nagel(loch)- und Lederresten rekonstruieren müssen, während die Handhabung irgendwie vorausgesetzt wurde. Ich werde mir ab jetzt vornehmen – wie auch Benedikt anführte –  durchzuprobieren, welche Beriemungen es für welche Funktion (zu Fuß/zu Pferde/mit Schwert/mit Speer oder Lanze etc.) gegeben haben könnte und wie diese dann verwendet wurden. Die abgefahrene Konstruktion in der o.a. Handschrift ist z.B. mit einigen von Kohlmorgen erwähnten Nagellochresten durchaus möglich (nicht ganz exakt, aber immerhin).

Wahrscheinlich haben wir die meisten unserer Schilde bisher völlig unhistorisch benutzt.  ;)

Ach ja, zu den Zweihandschwertern: Die olle Theorie, dass sie wegen verstärkter Rüstung aufgekommen sein sollen, ignoriert ja ein Stück weit, dass sich damit die ganze Fechtweise hätte spontan ändern müssen. Mit der neuen Annahme aber wird der Weg für "schildloses" Fechten schon deutlich eher freigemacht und die längeren Gehilze für zweihändige Hiebe (oder Stiche) ergeben im Kontext von Ringpanzerhemden auch Sinn, denn im Gegensatz zum Plattenharnisch bringt mehr Hiebgewalt hier tatsächlich etwas. Gleichzeitig bildet der am Körper geführte Schild schon eine Art Proto-Plattenrüstung, denn dort draufzuhauen bringt nichts. Machen aber trotzdem viele.  :P
(dazu ein Video: http://www.youtube.com/watch?v=zvCvOC2VwDc#&t=36s)

Als Nachtrag könnte ich noch sagen, dass ich inzwischen auch mit Jan Kohlmorgen drüber geredet habe und er der Sache weitgehend folgen kann. In Bezug auf die Anbringungspunkte der Riemen und der Schildfessel gibt es noch ein paar Details, aber dafür bräuchten wir dann wohl ein eigenes Thema. An Angriffen sind tatsächlich Stiche zu Torso und Gesicht, Hiebe zum Torso und dann eben die Greif- und Ringtechniken dargestellt, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe. Hoffentlich bekommen wir zu den Berlin Buckler Bouts eine größere Experimentierrunde untergebracht.

Alex P.

Hallo,

das Zurückwerfen und den Einsatz der linken Hand sieht man hier ganz gut.
http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/12Jh/Nibelungen/nib_intr.html

Weiterhin haben mich meine Recherchen zum Byzantinischen Reich im 6. & 11. Jhd. auch auf Abbildungen bzw. Rekonstruktionen von Schilden geführt. Erwähnt werden Riemen wohl schon im Strategikon des Maurikios (ende 6. Jhd.), da würde ich aber nochmal genau nachschauen wenn Interesse besteht, da es, wie der Name schon sagt, mehr ein "Schlachtfeldratgeber für den geneigten Kommandanten" ist. Ich meine da jedenfalls schon mal was gehört zu haben.
Die Rekonstruktionen wurden vom Autor des "Byzantine Infantryman, Eastern Roman Empire c. 900 - 1204" hergestellt (ja es ist Osprey Publishing, tut mir leid), Es handelt sich um relativ kleine Tropfen-/ Mandelschilde und einen gewölbten Rundschild. Der Rundschild besitzt noch ein Polster unter den Riemen um die Hand zu schützen, weiterhin sind die Riemen auch hier parallel nebeneinander angebracht, es wurden bei beiden Schildtypen Riemen um Hals und Schulter angebracht.
Weiterhin sind auf einigen Mosaiken und Ikonen Riemen zum Tragen und Halten zu erkennen bzw. zu deuten.

Bis bald.

Captain

Ich bin sehr gespannt auf die angesprochenen Experimente.

Was mich nachdenklich stimmt ob der Theorie, ist die Tatsache daß sich die Schilde im Verlauf des Hochmittelalters (im mitteleropäischen Kulturkreis) beständig verkleinert haben im gleichen Maß, wie Rüstung zunahm. Und gleichsam, daß die "Panzerbrecher" wie Luzerner Hammer und Mordaxt ect. erst im Spätmittelalter, als die Panzerung schon recht massiv war aufkamen. Wenn man den Schild nicht als aktives Element nahm und ihn eher auf den Rücken geworfen hat für den Beidhändigen Kampf, warum sollte sich dann die Schutzfläche verkleinern bei gleichbleibendem Behinderungsgrad.

Ich bin wirklich verdammt neugierig, was bei diesen Überlegungen rauskommt.
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Cornelius

#20
Ich wäre vorsichtig, die bewegungsarme Schildführung, die mir derzeit vorschwebt, schon als "passiv" zu bezeichnen, nur weil coole Schildschläge damit unwahrscheinlich sind. Man muss das Ding eben nur deutlich weniger bewegen, wenn es eh die attraktivste Blöße deckt. Die Ringtechniken wurde garantiert nicht als erste Wahl oder gar passende Zufechtmöglichkeit gewertet; man sieht sie in den Darstellungen ja auch fast nur bei finalen Aktionen (das frühere Argument der gesteigerten Dramatik kann also leicht abgeschwächt beibehalten werden). Dass die Schilde mit zunehmender Rüstung kleiner werden, passt ja ganz gut ins Bild, auch wenn man die ganze Zeit auch die Kampfweise der Kavallerie beachten müsste, die hier vermutlich eher ausschlaggebend war (obgleich sich Infanterieschilde größeren Formats und sogar Beriemungsunterschiede belegen lassen). Die "Panzerknacker" im eigentlichen Sinn kommen wohl erst dann, wenn die auch Wuchtwaffen Paroli bietende Rüstung vollendet ist. Den Schild, der von so einer Waffe getroffen sowohl sie als auch sich selbst unnötig gebunden hätte, braucht man im Zweikampf dann nicht mehr, da man eh schon dazu übergegangen ist, sich mit größeren Schwertern zweihändig zu decken. Bei Stahl auf Stahl, letzter Absatz in diesem Kapitel, habe ich passend dazu den Hinweis gefunden, dass in der Hs 3227a unter Harnischfechten nur das zu Ross verstanden wird. Bis die Plattenharnische komplettiert waren, hat das zweihändige Schwertfechten also nicht nur bloß, sondern auch gerüstet funktioniert. Aber wenn die Plattenrüstung erst einmal komplett ist, kann man sie auch aufzuhacken versuchen.

@Alex: Danke für den Hinweis, die von Dawson rekonstruierten Schildberiemungen passen mir natürlich ins Konzept. Er benutzt sogar einen Samick-SKB/Mind50-Reiterbogen, wie bei mir noch einer herumliegt...

Captain

Zitat von: Cornelius in April 23, 2013, 18:29:13 NACHMITTAGSauch wenn man die ganze Zeit auch die Kampfweise der Kavallerie beachten müsste, die hier vermutlich eher ausschlaggebend war
Unbedingt. Immerhin war die damalige Kavalerie im Prinzip auch die führende Gesellschaftselite. Und die Menschen der Vormoderne hatten noch deutlich anderen Blick auf Obrigkeit, wie die heutigen.

ZitatDen Schild, der von so einer Waffe getroffen sowohl sie als auch sich selbst unnötig gebunden hätte, braucht man im Zweikampf dann nicht mehr, da man eh schon dazu übergegangen ist, sich mit größeren Schwertern zweihändig zu decken.
Das genau ist ja der fragliche Knackpunkt, ob dies so oder andersrum ursächlich ist. Ich halte die Folge: stärker werdender Beschuss (Armbruste, später Arkebusen) -> bessere Rüstung -> Schild wird zunehmend unwichtiger -> Hand frei für beidhändige Waffen für schlüssig. Ander rum fehlt mir noch das Initial, das den Wechsel von der einhändigen zur zweihändigen Bewaffnung irgendwann ab Mitte des 13. Jh erklären kann.
Deswegen bin ich ja auf dieses Projekt so neugierig: wirklich von der Hand weisen kann ichs nicht. Dafür isses zu durchdacht. Ganz überzeugt bin ich aber auch noch nicht.
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Cornelius

Ich will keineswegs eine singuläre Entwicklung propagieren. Dass das alles ineinander verzahnt war, halte ich für deutlich wahrscheinlicher. Wir haben die körpernahe Schildführung ohne Unterarmriemen allerdings schon recht früh im 12. Jahrhundert, als die Plattenteile an der Rüstung oder auch nur Senfteniers (die textilen Überröhren für die Oberschenkel) noch gute 50–75 Jahre fehlten. Dementsprechend ist das Tor für die neue Fechtweise schon früh offen. In meiner Bildersammlung ist der erste Beleg für die reine Handriemenführung bei horizontalem Unterarm (plus Schildfessel) auf 1110–1125 datiert (ab 1175 nehmen die eindeutigen Darstellungen zu); der erste bewusste Linkhandeinsatz (abgesehen von Gesten) dann im o.a. Jungfrauenspiegel um 1200. In dieser Zeit sind nennenswerte Rüstungsverstärkungen (Gambesons überm Hauberk, Plattenröcke, Beinschienen und Kniekacheln etc.) noch nicht spürbar verbreitet. Nur als kleiner Einschub: Ich bin basierend auf der Quellenlage Gegner der weit verbreiteten Ansicht, dass ein Aketon/Gambeson stets unterm Hauberk getragen wurde. Damit einher geht bei mir die Überzeugung, dass Rüstung eben nur Leben retten und nicht Schmerzen verhindern soll.

Dass die verstärkte Rüstung auf Geschosse zurückzuführen ist, will ich erst einmal gar nicht bestreiten, aber die zweihändige Fechtweise ist dann bereits vorgeplant. Im Übrigen halte ich ein Verschwinden des Schildes angesichts von Geschossen für fragwürdig; da würde doch niemand die mobile Holzwand hergeben wollen... und wir sehen, dass sich die Nicht-Setzschilde bis weit ins 14. Jahrhundert halten, als die Plattenteile schon überhand genommen haben und die zweihändige Fechtweise mehr als 100 Jahre alt ist.

Was das Initial angeht, würde ich tatsächlich nochmal auf die Hastings-Epoche zurückgehen bzw. sogar auf frühere karolingische Schilde (Michael hat den Vortrag aufm Rechner/USB-Stecker, fragt ihn mal danach). Gewölbte Schilde kommen vermutlich als Kavalleriemitbringsel auf (Lanzen abgleiten lassen etc., irgendsowas, das noch mehr Geld kosten würde, um es experimentell nachzustellen). Sie werden nah am Körper und mittels einer Schildfessel getragen, was das Schützen des Schwertarms bei Hieben u.a. unmöglich macht. Folglich entwickeln sich z.B. Ringpanzerhemden mit langen Ärmeln und wohl eine Fechtweise, die auf Klingenbindung statt Schildbindung basiert, daher auch die längeren Parierstangen, die vorher niemand gebraucht hat. Jetzt allerdings muss man den Schild gar nicht mehr zentral oder gar mit Unterarmschlaufen greifen, wie es auf dem Teppich von Bayeux glaube ich noch zu sehen ist, denn das große Ding verdeckt den Körper fast vollständig und muss kaum bewegt werden, wofür ein (Paar) Handriemen reicht. Das allerdings gibt die Möglichkeit zu Greif-, Ring- und Zweihandtechniken, die auch angesichts der enormen Deckung durch den Tropfenschild (Reenactors werden mir zustimmen) mehr Spielraum im Kampf bieten. Welche Techniken im einzelnen möglich sind, werde ich hoffentlich demnächst ausloten können, aber ich würde den Übergang ungefähr dort festmachen.

Alex P.

Ich hab mal wieder was gefunden. http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/487383, man beachte den Krieger auf der linken Seite, zwei Riemen parallel nebeneinander.

Cornelius

Jep, bei vielen mykenisch-bronzezeitlichen Abbildungen müsste das ähnlich sein. Gleich mal schauen, ob es meine Lieblingsseite aus dem Bereich noch gibt: http://www.salimbeti.com/micenei/ Yay!

Captain

Zitat von: Alex P. in Mai 03, 2013, 19:26:05 NACHMITTAGSman beachte den Krieger auf der linken Seite, zwei Riemen parallel nebeneinander.
Könnten auch gekreuzte Riemen sein, wie bei Kohlmorgen beschrieben...
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Cornelius

Kohlmorgens gekreuzte Riemen sind nur durch die Optik in den Bildquellen "belegt", wie er mir auch gesagt hat. Alle irgendwie gefundenen und abgebildeten Schilde haben parallele Handriemen, die zudem eine bessere Führung des Schildes ermöglichen. In die Hand gekrallt sehen sie trotzdem so aus, als ob sie gekreuzt sein könnten.

EnginSeer

Zitat von: EnginSeer in April 22, 2013, 14:31:40 NACHMITTAGS
Fällt das Buhurt von Divinus Edictum (Deutschritter Reenactment in Chemnitz-Eyba) dann auch unter den Huscarl-Stil?
[...]
Die Gruppe trainiert nach Codex Belli. Damit sind nur Schläge auf Schild und den Torso erlaubt, was die Technik anscheinend verzerrt. Allerdings habe ich nur mit einem "Gemeinen" gesprochen, der selbst nicht mittrainiert, dafür aber sehr freundlich in seiner Auskunft war. Wenn das neue Event steht bin ich mal auf eine Diskussion der Ritter gespannt: Wenn die eine derart versportlichte Variante (bei der die Techniken regelbedingt vollkommen geändert werden) trainieren, finde ich es persönlich nicht so interessant. Dafür erklärt es, warum der Besuch des einen Mitglieds bei den Blossfechtern so kurz war: die Techniken waren fürs CB-Training nicht anwendbar.

Schöne Grüße:
Gerd
HEMA & W40K
Avatar: Marcus Hampel