[Rezension] Angroschs Kinder

Begonnen von Darnok, Juni 13, 2005, 17:16:16 NACHMITTAGS

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Darnok


Sie sind klein, haben einen stolzen Bart, trinken gerne Bier und sind nie ohne Axt und Kettenhemd anzutreffen. Dazu noch Goldgier und Sturheit und schon hat man alles was man für den typischen Zwerg benötigt. Oder etwa nicht?
Zwerge gehören zu den beliebtesten Charakteren, gerade bei Anfängern habe ich noch nie eine Gruppe erlebt die auf einen Zwerg verzichten musste.
Das nicht alle Zwerge dieses Klischee erfüllen wird schon in "Schwerter und Helden" deutlich gemacht, aber da der Platz dort sehr knapp und "Dunkle Städte, Lichte Wälder" (die Box die sich die Bartmummler mit den Spitzohren teilen mussten) schon etwas älter ist, war es Zeit für eine neue Spielhilfe über die Zwerge.
Auf 148 Seiten versuchen Momo Evers und ihre Mitarbeiter dem Spieler des Schwarzen Auges die Welt der Kinder Angroschs näher zu bringen.

Vor das Vorwort wurde hier noch die "Vorgeschichte" gesetzt. Auch im folgenden finden sich zwischen den Kapiteln immer Abschnitte einer Kurzgeschichte die Szenen aus dem Leben eines Zwerges beleuchten. Ansonsten ist der Aufbau aber zunächst einmal klassisch. Das erste Kapitel ist die Geschichtsübersicht, die von der Schöpfung der ersten Zwerge durch Angrosch bis zum beginnenden Heldenzeitalter reicht. Daran schließt sich ein Kapitel über die ehrwürdigen Ahnen an, die bei den Zwergen mehr verehrt werden als bei den kurzlebigen Menschen der zivilisierten Reiche.
Als nächstes kommt (auch hier analog zu anderen Regionalbänden) Ausführungen zur Kultur und Lebensart. Dazu gehört die Religion genauso wie Familienleben und Brauchtum.
Dazu gehört hier auch wie bei anderen Regionalspielhilfen die Sprache der Zwerge, das Rogolan.
Das "spezielle Verhältnis" der Zwerge zu den Drachen wird hervorgehoben, spielen die Geschuppten doch sowohl in den Sagen und Legenden eine große Rolle als auch im Denken der heutigen Zwerge, was auch in anderen Kapitel des Buches immer wieder deutlich wird.
Im nächsten Kapitel geht es um Kunst und Handwerk. Das bedeutet bei Zwergen natürlich zuerst Schmiedekunst und Bergbau, aber die kleinen Gesellen sind auch Meister der Baukunst und der Braukunst. Dabei werden auch die versch. Baustile der Zwergenvölker vorgestellt. Wer allerdings auf die Karte einer generischen Binge gehofft hat wird enttäuscht, zu verschieden sind die Städte der Zwerge. Der Aufbau einer typischen Zwergensiedlung wird aber im Text geschildert.
Und dazu gibt es noch viel mehr: Informationen über Essen und Trinken fehlen genauso wenig wie die Musik der Zwerge.

Ein ganz eigenes Kapitel sind die verschiedenen Völker in die sich die Zwerge aufgespalten haben.
Neben den Angroschim, die für gewöhnlich mit dem eingangs geschilderten Klischee als erste in Verbindung gebracht werden, und den anderen spielbaren Zwergenrassen und -kulturen finden sich Artikel zu Tiefzwergen, Wilden Zwergen, den Zwergen des Finsterkamms und den Roten Zwergen.
Und natürlich werden auch die vielen Zwerge die in der Welt der Menschen leben nicht vergessen.
Das sie über Aventurien verstreut sind wird im Kapitel "Das Aventurien der Zwerge" deutlich.
Dort werden zunächst die Bergfreiheiten und Grafschaften mit zwergischer Population in Mittel- und Horasreich vorgestellt, aber auch alle anderen Städte in denen Zwerge eine bedeutende Rolle spielen. Weniger schön ist dabei das Layout. Nicht nur, dass das Kapitel über Xorlosch aufgrund seiner alternativen Gestaltung wie nachdrücklich eingeschoben wirkt, auch innerhalb dieses Kapitels sind Textblöcke vertauscht, so dass man sogar rückwärts lesen muss. Auch in anderen Teilen des Buches ist das Layout nicht immer gelungen, so kommt es vor, dass Kästen in die Nachbarspalte hineinragen was man aber erst merkt wenn man weiter liest und feststellt, dass es auf einmal wieder um ein anderes Thema geht.
Abgesehen davon ist aber gerade dieses Kapitel über die Welt der Zwerge sehr gut gelungen, was auch für die Aventurienkarte auch Sicht der Zwerge und die Karte von Xorlosch gilt. Allerdings ist das Blatt mit diesen beiden S/W-Karten auch schon alles was dem Band als Handout beiliegt. Die entsprechenden Farbkarten werden sich dann in den entsprechenden "menschlichen" Regionalbeschreibungen finden.
Analog zu anderen Spielhilfen dieser Art findet sich eine Liste mit wichtigen zwergischen NSCs. dabei fällt auf, dass im Gegensatz zu Raschtuls Atem viel weniger neu erfundene Figuren dabei sind. Die Zwerge waren schon immer gut in den Publikationen vertreten und so gibt es auch Exoten wie Saldor Foslarin, den Gildenmagier oder Thorgrim, Sohn des Tuwar, den Erzkanzler der Rondrakirche. Ebenfalls in allen Regionalspielhilfen finden sich die Mysteria et Arcana, eine Sammlung von allerlei Geheimnissen und Abenteueranregungen für den Meister. Und davon gibt es bei den Zwergen genug.
Neu dagegen ist ein Kapitel über den Zwerg am Spieltisch, das zu den besten des Buches gehört. Hier wird noch einmal (quasi als Zusammenfassung des bislang Geschriebenen) zusammengefasst auf was man bei der Darstellung eines Zwerges im Spiel achten sollte, in erster Linie also was ihn von seinen menschlichen Mitstreitern unterscheidet.
Zum Standard scheint es mittlerweile zu gehören in jeder Regionalbeschreibung auch neue Professionen zu präsentieren. Das reicht hier vom Pilzzüchter bis zum Tresorbauer. Wie sinnvoll diese sind sei dahingestellt, aber vielleicht will ja wirklich mal jemand einen Erzzwergischen Zahlenmystiker spielen.
Wirklich neu in einer Regionalspielhilfe sind dagegen die Archetypen im Stil der Regelboxen. Diese haben hier eigentlich nichts verloren. Insbesondere da die Autoren in Internetforen über Platzprobleme klagten, hätte man diesen Platz sinnvoller nutzen können. So nett die Beschreibungen auch zu lesen sind, so wenig Sinn machen  sie in einem Nachschlagewerk als das dieser Band in erster Linie gebraucht wird.
Wichtiger sind da die regeltechnischen Besonderheiten. Unter anderem wird der neue Nachteil Zwergenwuchs (-7GP) eingeführt der alle Zwergenrassen um 2 GP verbilligt.
Leider finden sich trotz dieser extra Seiten für Regeln auch wieder Regeln versteckt im Fließtext, so zum Bsp. über Besonderheiten zwergischer Handwerkserzeugnisse.

Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu den Illustrationen. Das beginnt mit dem Cover das 4 typische Vertreter/innen  der Zwergenvölker zeigt. Während der Ambosszwerg sehr dem Bild des klassischen Zwerges entspricht, so scheint die Hügelzwergin direkt dem Film "Herr der Ringe" entsprungen zu sein. Allerdings bekommt man auch beim Lesen der Texte den Eindruck, dass die Hügelzwerge nur noch Name und Herkunft von den Hobbits unterscheiden.
Der Erzzwerg dagegen wirkt wie ein chassidischer Jude und auch der Brillantzwerg würde ohne weiteres als Mensch durchgehen.
Die Qualität der Illustrationen ist auch im Inneren des Buches durchwachsen. Allzu oft hat man bei den Abbildungen der Zwerge den Eindruck, dass doch niemand so richtig weiß wie man einen Zwerg ohne Kettenhemd oder Schmiedeschürze darstellt. Was da zum Vorschein kommt wirkt allzu oft wie Puppen oder Gartenzwerge, teilweise erinnert es eher an Heinzelmännchen oder Kinder mit langen Bärten.
Direkte Fehler gibt es dagegen selten, so hält der Wilde Zwerg stolz seine Axt in der Rechten, während im Text darunter ausgeführt, dass es bei ihnen fast nur Linkshänder gibt und Rechtshänder verachtet werden. Der Tiefzwerg dagegen erinnert sehr an Gollum, es ist eben nicht möglich sich der bildgebenden Kraft des großen Fantasyvorbilds zu entziehen. Man darf bei all der Kritik aber nicht vergessen, dass es auch viele gute Bilder gibt. Nötig sind sie auf jeden Fall.
Oft genug wird in betont, dass Zwerge nicht nur kleine Menschen sind doch oft genug bekommt man auch genau diesen Eindruck. Ganz eindeutig sind sowieso nicht alle Aussagen. Während es an der einen Stelle heißt, dass Zwerge unter der Erde keine Tageszeiten kennen und in Schichten arbeiten, wird andernorts geschrieben, dass alle das Abendessen gemeinsam einnehmen.

Was bleibt also abschließend zu sagen?
Dieser Band ist um einiges ausführlicher und umfangreicher als das alte Heft. Für Zwergenspieler ist er unerlässlich, auch wer die alte Box besitzt sollte über den Kauf nachdenken. Die Texte sind für sich gut, doch die durchwachsene Aufmachung und die scheinbar mangelnde Koordination (viele Aussagen tauchen immer wieder auf, zur Kriegerschule in Xorlosch finden sich über das ganze Buch verteilt Informationsschnipsel) verhindern aber die Note Gut.
"Ich glaubte es wäre ein Abenteuer, aber in Wirklichkeit war es das Leben." - Joseph Conrad